Land & Leute

.

Land & Leute * Äthiopien ist ein bunter Vielvölkerstaat, in dem rund 83 Millionen Menschen leben, die sich einer Vielzahl verschiedener Volksstämmen zugehörig fühlen. Darunter fallen so unterschiedliche Ethnien wie die Völker des Omo Valleys, die Somali der weiten Ebene der Ogaden, die Amharen aus Addis Abeba und die nomadischen Afar der Danakilsenke. Staatssprache ist das von den Amharen gesprochene amharisch. Daneben existieren über 70 weitere Sprachen im Land.

Seit 1994 ist Äthiopien ein föderaler Staat, der sich aus drei Stadtstaaten und acht Regionen zusammensetzt mit Oromia als flächenmäßig größter Region und mit der höchsten Einwohnerzahl. Die Grenzen wurden unter Berücksichtigung sprachlicher und ethnischer Gesichtspunkte fixiert.

Doch ganz gleich, wo jemand lebt und welchem Volk er sich zugehörig fühlt: Überall sind die Menschen stark in Glauben und Herkunft verwurzelt. Das Leben kreist um Familie und Religion, insbesondere in den ländlichen Gebieten. Zwar wächst in den Metropolen eine neue, westlich orientierte Generation heran. Doch auch sie ist noch ganz der Familie und Tradition verpflichtet.

Geschichte * Ihren Nationalstolz schöpfen die Hochlandäthiopier aus der langen und großen Vergangenheit, beginnend mit dem Axumitischen Reich, das in der Zeit vor Christi Geburt seinen Ausgang nahm. Die Axumiten und auch schon die Reiche zuvor pflegten Kontakte zu den großen antiken Hochkulturen, zu Griechenland und über den Blauen Nil zum alten Ägypten. So stammt der Landesname ‚Äthiopien’ von der altgriechischen Bezeichnung für die Bewohner dieses Landesteils ab: aitho ops, verbranntes bzw. sonnenverbranntes Gesicht.

Äthiopien war die Schwelle Afrikas zur Alten Welt und wurde von dieser in Kunst und Architektur beeinflusst. Die zahlreichen jüdischen Elemente in der äthiopisch-orthodoxen Kirche legen darüber hinaus einen starken Einfluss des Judaismus der frühen Kulturen des Nahen Ostens nahe. Aus diesen mannigfachen Berührungspunkten entstand eine ganz eigene Kultur, verschieden von anderen Ländern Afrikas. Das jahrhundertelange Leben in der relativen Isolation des äthiopischen Hochlandes trug das Seine dazu bei, diese Kultur so rein und ursprünglich bis in die heutigen Tage zu erhalten.

Die jüngere Geschichte Äthiopiens ist wechselvoll. Unter Menelik II feierte das Land 1896 einen glorreichen Sieg gegen die angreifende Kolonialmacht Italien. So wurde Äthiopien als einziges afrikanisches Land nie offiziell kolonisiert. Der Jahrestag der großen Entscheidungsschlacht von Adua am 1. März ist noch heute ein nationaler Feiertag. 40 Jahre später marschierten die Italiener ausgehend von ihrer Kolonie in Eritrea jedoch wiederum ein und okkupierten das Land diesmal erfolgreich bis 1941.

Die nächste große Ära wurde durch Kaiser Haile Selassie geprägt, der Äthiopien von 1930 bis 1974 regierte – der letzte Kaiser Äthiopiens.  Unter Haile Selassie wurde Addis Abeba 1963 Sitz der neu gegründeten Afrikanischen Union.

Die 70er und 80er Jahre standen für Äthiopien unter einem schlechten Stern. 1973 brach die erste einer Reihe von Hungersnöten aus, die den Norden des Landes quälte. Das Kaiserhaus unter dem alternden Haile Selassie reagierte unzulänglich bis gar nicht. Widerstand formte sich unter dem  Militär. Ab Februar 1974 übernahm ein Rat der Streitkräfte, genannt der Derg, kontinuierlich die Macht. Der Derg schaffte 1975 offiziell die Monarchie ab. Eine Bodenreform wurde eingeleitet, die dem Feudalismus endgültig den Garaus machte. Im Herbst desselben Jahres starb der Kaiser, vermutlich nicht ohne fremde Beihilfe.

1977, im Zuge des Ogadenkriegs, riss die Armee endgültig alle Macht an sich. Der erste Mann im Staat war nun Oberst Mengistu Haile, der in Äthiopien den Sozialismus ausrief. Ein hartes Regime regierte das Land, das auf brutale Weise die Bevölkerung unter Kontrolle hielt. Bereits ab Mitte der 70er Jahre formte sich, ausgehend von Eritrea und Tigray, der erste Widerstand. 1977 befand sich Eritrea in Rebellion und die Tigraian People’s Liberation Front (TPLF) verlangte nach Demokratie.

Die nächste Hungersnot brach 1979 in Nordäthiopien aus, gefolgt von der schlimmsten aller drei Hungersnöte Mitte der 80er Jahre in Tigray, Wollo und im Nordosten. In drei aufeinander folgenden Jahren waren die Regenfälle ausgeblieben. Die Hilfsmaßnahmen liefen nur schleppend an: Erst verweigerte der Westen dem sozialistischen Land die Hilfe, dann war Mengistu nicht willens, diese in den aufständischen Provinzen zu verteilen. Eine Million Menschen starben. Über Nacht war Äthiopien im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit.

Ausgehend vom Norden verstärkte sich der Widerstand gegen das Regime. In der EPRDM (Ethiopian People’s Revolutionary Democratic Movement) vereinigten sich mehrere Widerstandsbewegungen und drängten Mengistu zusehends in die Defensive. Die Rebellen gewannen an Land. Im Mai 1991 floh Mengistu nach Simbabwe, sieben Tage später besetzte die EPRDM Addis Abeba. Eine Übergangsregierung unter Meles Zenawi wurde eingesetzt. Die ersten Wahlen fanden 1994 statt, Parlaments- und Regionalwahlen ein Jahr später.

Eritrea war schon ab der Volksabstimmung von 1993 ein unabhängiger Staat. Mehrere Freundschafts- und Kooperationsverträge regelten die zwischenstaatlichen Beziehungen sowie den für Äthiopien wichtigen Zugang zu den eritreischen Häfen. Nichts desto trotz entfremdeten sich die beiden Staaten zunehmend. 1997 schaffte Eritrea den Birr ab und führte eine eigene Währung ein. Äthiopien sah sich provoziert. Ein Jahr später kulminierte der Konflikt in offene Auseinandersetzungen um die Grenzziehung im Gebiet um die Stadt Badme. Erst im Jahr 2000 konnte der Konflikt, der Tausende das Leben kostete, mühevoll beigelegt werden. Doch nach wie vor ist die Grenze zwischen den beiden Ländern geschlossen.

Nach den letzten Wahlen von 2010 stellt die EPRDM mit Premier Meles Zenawi († 2012) noch immer die Regierung. Das Land unternimmt wirtschaftlich riesige Anstrengungen, viele Mittel werden in Großprojekte für Wirtschaft, Bildung und Infrastruktur gepumpt. Der Bausektor boomt und Addis Abeba schießt in die Höhe und wächst in die Breite.

Dennoch zählt Äthiopien noch immer zu den ärmsten Ländern der Welt. In vielen Bereichen fehlt es an Grundlegendem. Temporäre Stromausfälle gehören selbst in den Großstädten zum Alltag und mancherorts kämpfen Kommunen noch immer, die Wasserversorgung zu sichern. Die lange Zeit der Unruhe und Kriege riss eine Lücke in die Kontinuität der Ausbildung junger Leute. Es fehlt an qualifizierten Fachkräften, insbesondere in den handwerklichen Berufen.

Doch das Gesicht Äthiopiens wandelt sich kontinuierlich und verblüffend schnell.

.

.